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Andreas Langen ist professionell ausgebildeter Journalist

Er schreibt seit Ende der 80er Jahre für Zeitungen und Magazine sowie für PR-Auftraggeber.

Veröffentlichungen u.a.:

Die Zeit
Die Woche
tageszeitung
Frankfurter Rundschau
Stuttgarter Zeitung
Photonews
photography now
Der Greif (Bildende Kunst)
Christian Schink (Bildende Kunst)
Joakim Eskildsen + Cia Rinne (Bildende Kunst)
Wolf Böwig (Bildende Kunst)
Markus Brunetti (Bildende Kunst)
David Bradford (Bildende Kunst)
Melk Imboden (Bildende Kunst)
Sibylle Burr (Bildende Kunst)
Holzmanufaktur (Möbel)
performa (Möbel)
Institut für Auslandsbeziehungen ifa (Kulturpolitik)
Kongress- und Kulturzentrum Liederhalle Stuttgart
MH Dorn (Metallindustrie)
Steinkopf Druck (Grafische Industrie)
Rohrbach Zement (Bauindustrie)
Schuler Rohstoffe (Recycling-Industrie)
Psychiatrisches Landeskrankenhaus Emmendingen
Rheuma-Krankenhaus Baden-Baden
Brings (Popmusik)

Andreas Langen ist Redakteur und Autor des dfa-magazins.

Die Gestaltung von PR- und Werbetexten ist sehr eng mit der des Mediums verknüpft, in dem sie publiziert werden. Wort und Bild sind so genau aufeinander abgestimmt, dass Sie als Betrachter eigentlich die originale Drucksache in Augenschein nehmen sollten. Als virtuelle Sehhilfe hier eine > PDF-Datei (1,4 MB) mit dem Layout eines Imageprospektes.
Leseproben:

Gebt uns die Kugel – ein Pannenreaktor, ein Beinahe-GAU und meine Schwester

(Auszug; erschienen 2012/13 in „Kontext Wochenzeitung“ und „Bibiliothek des Widerstands“, Laika-Verlag)

Ich bin in Jülich aufgewachsen, einem Provinznest am Niederrhein, das niemand kennt.  Doch als ich gerade 14 geworden war, im Frühjahr 1978, wäre Jülich um Haaresbreite weltberühmt geworden – so berühmt wie Tschernobyl und Fukushima.

Die Haaresbreite, um die es dabei ging, war die eines Risses in einem Wasserrohr. Das defekte Wasserohr war Teil einer großen Maschine. Die Maschine war ein Teil der Kernforschungsanlage Jülich. Die Kernforschungsanlage aber war mehr als ein Teil der Stadt. Sie war ihr heimliches Herz.

Und wie das so ist mit ernsthaften Herzproblemen: man will sie nicht wahrhaben. Das aber kann sich bitter rächen, noch Jahrzehnte später. Auch davon handelt diese Geschichte.

Nicht immer hatte Jülich so viel Glück. An einem Nachmittag im November 1944, als das nukleare Armageddon noch im Probestadium war, kam der konventionelle Weltuntergang über das Städtchen. Die alliierten Bomber brauchten keine Stunde; von hundert Jülicher Häusern blieben zwei stehen.

Nach dieser Tabula Rasa hatte es der Wiederaufbau leicht, seine Mission zu erfüllen: eine praktische, leicht befahrbare Siedlung herzustellen, für Bewohner, die knitterfreie Nyltestmode trugen, samstags ihre Autos wuschen, als gute Katholiken CDU wählten und an die Verheißungen der Zukunft glaubten.

Und diese kam tatsächlich, ab 1956 in denkbar handfester Gestalt. Damals entstand in Jülich die Kernforschungsanlage. Diese KFA bedeutet Tausende Arbeitsplätze, hunderte besetzt mit brillanten Köpfen aus aller Welt. Es war die Zeit, als Ford atomgetriebene Autos plante, als Atom-U-Boote und –Flugzeugträger den freien Westen verteidigten, und in Jülich gleich drei Atomreaktoren errichtet wurden. Die Starfighter aus dem nahen Fliegerhorst Nörvenich donnerten übers Land, um es den Russen zu zeigen, Samstags um zwölf Uhr mittags heulten übungshalber die Luftschutzsirenen. Jülich war auf der Siegerstraße.

1978 hatte ich davon so viel Ahnung, wie 14jährige halt von Zeitgeschichte, Kernphysik und Kalten Kriegen Ahnung haben. Atomenergie? Das waren doch diese komischen Strahlen, die den Comic-Helden Hulk so grün gemacht hatten. Dessen Abenteuer fand meine Mutter zu brutal, ich las die Hefte heimlich bei meinem Nachbarn.

So vergingen die Nachmittage, auch der 13. Mai 1978, ein Samstag. Am Abend war ich wieder daheim, nach dem Essen kam Rudi Carells Quizshow „Am Laufenden Band“. Das guckten wir alle gemeinsam, Eltern und Geschwister. Am Ende der Show erhielt der Sieger Gewinne wie Kaffeemaschinen, Staubsauger und ein Überraschungspaket. Draußen war es kalt und regnerisch, und das am Pfingstsamstag. Nach dem Fernsehen putzte ich mir die Zähne, schaltete die Beleuchtung meines Aquariums aus, und ging schlafen. Alles sah nach einem öden Wochenende aus.

Einige Kilometer weiter in der KFA hatten ein paar Leute alles andere als Langeweile. Die Nachtschicht rätselte über das Verhalten des Atom-Versuchskernkraftwerks AVR. Ein technischer Defekt hatte tagsüber zur Selbstabschaltung der Maschine geführt. Die Konstruktion galt als idiotensicher. Selbst wenn alle Kühlsysteme ausfielen, konnte eine Kernschmelze gar nicht eintreten. Das hatten die Operateure in Jülich bereits mehrfach erprobt: Alle Kühlsysteme ausschalten – und statt Unfall passierte beim AVR gar nichts. „Inhärent sicher“ ist das Zauberwort der HTR-Verfechter; in Jülich ist es so tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass noch vor kurzem selbst Lokalpolitiker der Grünen Stein und Bein schworen, dieser Reaktor könne nie ernsthaft gefährlich werden. Am Pfingstsamstag 1978 aber bockte das turmhohe Gerät. Trotz aller Versuche ließ es sich nicht wieder hochfahren. Dass sich direkt über dem nuklearen Feuer im Reaktorkern ein Riss in einer Dampfleitung gebildet hatte, konnten die Ingenieure nicht sehen. Aus dem Riss schoss Wasserdampf. Wasser im Jülicher Reaktor aber bedeutet höchste Gefahr. Es kann bei Kontakt mit den graphithaltigen Brennelementen zu hochexplosivem Wasserstoff  plus Kohlenmonoxid werden. Auf ähnlichem Weg sprengte sich im März 2011 das AKW Fukushima selbst in die Luft. Auch in Jülich hätte der Reaktor eine solche Knallgasexplosion nicht überstanden. (…)


Fotokritik:

Westwerke – Markus Brunetti fotografiert Fassaden europäischer Kirchen

(Auszug, erschienen bei Hartmann projects, 2014)

Man kann es Demut nennen, aber ebensogut Größenwahn: Wer ein Projekt beginnt, das er zu Lebzeiten nicht vollenden kann, wird sich entweder als bescheidenen Tagelöhner im Dienste des Ewigen betrachten, oder als Schöpfer von transzendentem Format. Am wahrscheinlichsten aber als eine Mischung aus beidem. Als die Kathedralen von Reims, Amiens und Paris in den Himmel wachsen, im frühen 13. Jahrhundert, wird Gott in einer französischen Zeichnung dargestellt als Mann mit einem Zirkel in der Hand – gleich den Geometern und Architekten, die gerade dabei waren, die waghalsigsten und monumentalsten Gebäude zu errichten, die je ein Mensch gesehen hatte. Geld, Zeit und Raum spielten in diesen Projekten keine Rolle mehr. Die Kathedralen Europas überschritten alle bis dahin bekannten Dimensionen.

Im frühen 21. Jahrhundert, eine halbe Ewigkeit nach den Grundsteinlegungen von Chartres, Köln und Straßburg, hat sich nun ein anderer Grenzüberschreiter daran gemacht, das sakrale Kulturerbe der Alten Welt auf neue Art in Bilder zu fassen. Der Fotograf Markus Brunetti bildet die Fassaden europäischer Kirchen, Klöster und Kathedralen ab – ein Projekt, das niemand in einer Lebenspanne je vervollständigen könnte.

Doch gegen jeglichen Hauch von Vanitas ist Brunetti doppelt gewappnet: Durch stupendes Handwerk und durch enorme Entschlossenheit. Diese beiden Faktoren hängen eng zusammen. Der Fotograf arbeitet digital, und das mit einer Perfektion, wie sie wahrscheinlich kaum jemand sonst erreicht. In den 90er Jahren war Brunetti ein Pionier der digitalen Bildbearbeitung, damals im Sold weltweiter Werbekunden. Das Verfahren war neu, begehrt und extrem teuer. Der digitale Dienstleister arbeitete wie verrückt, verdiente entsprechend, und logierte am Ende in einem echtem Schloß. Doch das hochtourige Getriebe der Oberflächen-Huldigung drehte irgendwann hohl. Brunetti tauschte die feudale Immobile gegen ein Leben auf der Landstraße. Er kaufte einen LKW und baute ihn eigenhändig zum Wohnmobil aus – mit kleiner Schlafstätte, großer Küche und digitaler Workstation.

Seither reist er durch Europa – im nunmehr zehnten Jahr, begleitet und unterstützt von seiner Frau Betty Schöner, auch sie Fotografin und Spezialistin für Bildbearbeitung. Diese Grand Tour befasst sich mit genau einem fotografischen Thema: Kirchenfassaden. Solch eine Konzentration sucht in der künstlerischen Fotografie ihresgleichen. Brunetti ist manisch genug dafür, und für ein mönchisches Leben auf wenigen Quadratmetern. Womöglich ist die Uferlosigkeit seines Unterfangens sogar ein Vorteil für einen Besessenen wie ihn – Überschaubares würde ihn langweilen. Deshalb fügt er der enormen Größe des Themas noch den Anspruch ständiger Optimierung hinzu. Wenn Erfahrung und technischer Fortschritt bessere Bilder versprechen, widmet sich Brunetti einzelnen Bauwerken auch mehrmals. Doch selbst ohne Wiederholung wäre sein Projekt weiß Gott riesig. Tausende Kirchen kommen in Frage, Brunettis Auswahl reicht von früher Romanik über Gotik, Renaissance und Barock bis in die Gegenwart, in Gestalt von Gaudís noch im Bau befindlicher „Sagrada Familia“ in Barcelona.

Die erste Dekade der fotografischen Pilgerfahrt zu den Westwerken Europas hat nicht ganz gereicht für den lateinischen Kulturraum – Iberische Halbinsel, Frankreich, Italien. In Deutschland hat Brunetti erst wenige Bauwerke erfasst, die Benelux-Staaten fehlen noch vollständig, ebenso die britischen Inseln, vom östlichen Halbkontinent der Orthodoxie ganz zu schweigen. Als wäre das nicht genug, fotografiert Markus Brunetti neben dem architekturgeschichtlich sanktionierten Kanon der wichtigsten Bauwerke auch noch Fundstücke längs des Weges. So steht neben dem Mailänder Dom, San Marco und Notre Dame komplett Unbekanntes, wie etwa die portugiesische Pfarrkirche Santa Marinha de Cortegaca – garantiert kein Baedecker-Objekt, frühes 20. Jahrhundert, aber dank ihrer tief blauen Azulejos-Fassade ein eindringliches Zeugnis regionaler Bautradition.

Formal und konzeptionell hat Brunettis Arbeit große Ähnlichkeit mit dem Werk von Bernd und Hilla Becher. Beiden geht es um präzise, sachliche und serielle Darstellung von Architektur, um Typologie und Vergleichbarkeit. Beide zeigen ihre Sujets stets in gleichmäßigem, indirekten Licht. Doch neben der Farbigkeit von Brunettis Aufnahmen – die Bechers verwendeten ausschließlich Schwarz-Weiß – liegt der wesentliche Unterschied vor allem im Sprung von analoger zu digitaler Bildtechnik. Bernd und Hilla Becher haben die vielen hundert Wassertürme, Fachwerkhäuser, Hochöfen und Fördertürme ihres Gesamtwerkes mit jeweils einer Aufnahme per Großformat-Kamera katalogisiert. Markus Brunetti dagegen montiert eine Vielzahl einzelner Aufnahmen zu einer neuen Gesamtansicht. Das Prinzip ist bekannt, nicht aber Brunettis Umsetzung. Diese erreicht durch Quantität eine völlig neue Qualität. Mindestens einige Stunden, oft mehrere Tage lang tastet Brunettis Kameraauge jede einzelne Fassade ab, dabei belichtet er zwischen einigen hundert und mehreren tausend Fotos.

Diese bearbeiten und montieren Markus Brunetti und Betty Schöner in wochenlanger Präzisionsarbeit zu einem neuen Gesamtbild. Zum Einen befreien die Kompositeure das Mauerwerk von fast alle modernen Einbauten wie Kabeln, Blitzableitern und Taubenschutz. So kommen die Bauwerke ihrer idealen Gestalt, wie sie im Geiste ihrer Entwerfer existiert haben mag, sehr nahe.  Zum anderen nimmt Brunetti die Einzelbilder von verschiedenen Standorten aus auf. Im Resultat entsteht eine solitäre Gebäudeansicht, die ein realer Besucher vor Ort niemals so sehen kann. Geradezu atemberaubend sind beispielsweise die Höhenverhältnisse zwischen den Kirchen und ihrer architektonischen Nachbarschaft – teils gigantische Differenzen, die im Bild viel dramatischer wirken als in der Realität, obwohl die fotografische Wiedergabe maßstäblich korrekt ist.

Da Brunettis Bilder fast verzerrungsfrei sind, ähneln sie architektonischen Aufriss-Zeichnungen. Anders als diese aber haben die Fotos einen Fluchtpunkt, Und sie zeigen mit unglaublicher Genauigkeit alle Oberflächen in ihrem aktuellen Verwitterungs- oder Renovierungszustand. Man kann man jede Taube erkennen, die in den Türmen der Kathedrale von Reims hockt, und jeden Grashalm, der aus dem langsam verfallenden Barockrausch der Santa Maria de Sobrado wuchert. Die Auflösungsgrenze der Brunetti-Bilder liegt weit jenseits dessen, was heutige Drucker an hochwertigen Kunstdrucken herstellen können. Jeder Print könnte viele Meter hoch sein, ohne selbst winzigste Details zu verlieren. Die Fassade des Domes Santa Maria Assunta in Orvieto etwa hat große Mosaikflächen. Brunetti kann diese Bildzonen vergrößern, bis man jeden einzelnen Mosaikstein erkennt – und zwar in perfekter Schärfe. Irgendwo am Rand haben Restauratoren ihre Unterschrift hinterlassen, Dutzende Meter über dem Erdboden, unsichtbar für jeden Besucher: RESTAURATO – STUDIO MONTICELLI – MCMLXII. Wahrscheinlich hat noch kein Betrachter die Ikonografie dieser Baukunst in solcher Auflösung gesehen.

Mit seinen Kirchenfassaden erschafft Markus Brunetti eine bislang nicht gekannte Art von fotografischem Bild, ein Hybrid aus Virtualität und extremer Wirklichkeitstreue. Er tut dies ohne jeden theologischen Gestus, lässt statt dessen den schier unglaublichen Reichtum an Material, Form und Gestalt sprechen. So richtet sich die Aufmerksamkeit über das Bild hinaus auf die Bauwerke selbst. Brillant wie nie treten jene Mirakel von Menschenhand in Erscheinung. Der Blick schweift über Wasserspeier und Heilige, Rosetten, Turmhauben und Mauerritzen, über Skulpturen mit verwittern Gesichtern, Jüngste Gerichte, Paradiese und Teufel, romanische Blöcke, gotische Streben, barockes Wuchern – die Fassaden der Kirchen Europas liegen in diesen Bildern vor uns wie ein offenes Buch, dessen Geschichten und Botschaften in klarerem Licht zu lesen sind als je zuvor.
(…)

Stadtportrait

Stadtportrait Stuttgart 2011

die arge lola produziert in Zusammenarbeit mit Malte Kirchner (Amigopromotion) im Auftrag der Landeshauptstadt Stuttgart einen Fotofilm, der zum Auftakt des Deutschen Städtetages am 4.5.2011 lief.